Katastrophenalarm

Warum hier für die letzten Jahre keine Aktivitäten und Projekte mehr verzeichnet sind, hat damit zu tun, das ich schlicht und ergreifend keine Zeit hatte. Mein Vater wurde nach dem Tod meiner Mutter 2018 aufgrund seiner fortschreitenden Demenz pflegebedürftig. Viele Menschen in meinem Alter sind mit einer ähnlichen Situation konfrontiert, die ich in ihren Konsequenzen durchaus unterschätzt hatte. Im Grunde bekommt man nochmal ein Kind dazu, aber eines, das früher mal der Vater war und seinem Rechtsstatus gemäß immer noch ein Erwachsener ist. Tatsächlich – auch das keine außergewöhnliche Erfahrung – waren die Eltern meiner Generation nicht gerade die liebevollen und fürsorglichen Begleiter:innen, die alle sich wünschen die man heute heute auch öfter antrifft, sondern oftmals durchaus kühle, wortkarge, unberechenbare Egozentriker. Sich um jemand wie meinen Vater zu kümmern, stellte eine Herausforderung dar, weil er so tat, als würde er weiterhin alles autonom entscheiden können. Obwohl ich sein gesamtes Leben organisierte, erschien ich ihm als Störfaktor, der sich in alles einmischte. Und während ich ihm teilweise fünf Pflegekräfte ins Haus orchestrierte, konnte von Dankbarkeit keine Rede sein.

Dazu kam, dass das Haus in Eschweiler, in dem mein Vater alleine wohnte, obwohl er es nicht mehr konnte, im Juli 2021 vom Hochwasser überschwemmt wurde. Dieses Hochwasser überschwemmte  keineswegs nur das Ahrtal, auf das sich die gesamte Aufmerksamkeit konzentrierte, sondern u.a. auch Stolberg und Eschweiler, zwei ineinander übergehende Gemeinden mit 110.000 Einwohner: innen. Beide Innenstädte wurden in eineinhalb Meter Höhe überschwemmt und entsprechend zerstört. Die meisten Leute haben keine Idee von Hochwasser: Im Grunde kann man die komplette Einrichtung wegwerfen, alle Heizungen müssen erneuert werde, die Trocknung dauert Monate. Meine Mutter hatte in Eschweiler ein Stoffgeschäft geführt, der Laden stand nach ihrem Tod leer, insofern war der direkte, materielle Verlust tragbar. Anders für die Besitzer:innen von Einzelhandel in der Nachbarschaft. Nach den Verlusten durch Covid kam dann auch noch das Hochwasser. Nur etwa 25 Prozent der vom Hochwasser betroffenen Personen waren gegen sogenannte Elementarschäden versichert. Der Staat ist dann eingesprungen, dankenswerterweise, mit einer Kostendeckung von 80 Prozent. Allerdings war die Hilfe nicht so leicht zu bekommen: Das bürokratische Procedere war enorm und teilweise unangenehm.

Mit diesem Hochwasser gingen für mich einige Erfahrungen einher, die durchaus traumatisch waren – wie viele andere Menschen aus der Gegend war ich lange nicht in der Lage, mir irgendwelche Berichte o.ä. über Hochwasser anzuschauen. Immerhin konnte ich meinen Vater überzeugen, während der Renovierung in ein Pflegeheim umziehen. Das Heim war gleich um die Ecke, und ich hätte niemals einen Platz bekommen, wenn es nicht auch überschwemmt gewesen wäre. Es ist eine schöne Unterkunft, und im „Hotel“ hat er dann erstaunlich schnell Anschluß gefunden, und bald war es dann auch kein Hotel mehr. Kurz nachdem er eingezogen war, wurden die Tarife für Unterkunft, Investition und Pflege massiv erhöht. Mit und mit stieg die private Zuzahlung um 50 Prozent auf 3000 Euro monatlich. Das keine Luxusunterbringung. Selbstverständlich ist es zu begrüßen, wenn das Personal in der Pflege mehr verdient – und zweitweise waren ja auch kaum Leute zu finden – aber die finanziellen Konsequenzen für die Bewohner:innen waren atemberaubend. Bleibt für viele nichts als der Gang zum Sozialamt. Das ist eine Zeitbombe, wenn die nächsten Generationen mit weniger großzügigen Renten alt werden. Es ist für mich erstaunlich, wie wenig das in Deutschland ein politisches Thema ist – im Gegensatz zu oft weit entfernten Konflikten, auf die sich von hier aus sehr wenig Einfluß nehmen lässt.

„Kompilation Hochwasser Eschweiler Juli 2021“