Der Traum von Weltmusik entwickelte sich aus dem „Heimatliedern“. Tatsächlich hatte es sich als schwierig erwiesen, mit unserem Projekt aus der „Multikulti“- oder „Weltmusik“-Ecke herauszukommen. Ich wollte den Spieß umdrehen. „Weltmusik“ war nämlich eigentlich eine westdeutsche Idee – der Begriff tauchte erstmals auf im Rahmen der Kunstausstellung zu den aus vielen Gründen legendären Olympischen Spielen von 1972. In jenen Tagen wurde viel experimentiert, im Bereich der Popmusik von Can, Kraftwerk, Faust oder Neu. Im Bereich des Jazz gab es eine internationale Szene, und der deutsche „Jazzpapst“ Joachim-Ernst Berendt organisierte die Reihe „Jazz meets the World“. Aber auch viele Komponisten der E-Musik interessierten sich für östliche Klänge und Arten des Musizierens. Die Komponisten waren müde an der Avantgarde und suchten nach Alternativen zu den bürgerlichen Musiktraditionen und Aufführungsformen. Sie wollten den Kunstbegriff erweitern durch Rückgriffe auf Folklore, durch Öffnung gegenüber den musikalischen „Laien“, durch intuitive und forschende Reisen ins Unbestimmte – auf ähnliche Weise wie John Cage, Tony Conrad oder Terry Riley.

Aus diesem Umfeld stammten die Stücke, die das Ensemble „Heimatlieder aus Deutschland“, das damit zum „Miminal Utopia Orchestra“ wurde, an zwei Abenden im Juni 2017 im Hebbel am Ufer in Berlin aufgeführt hat. Teile von „Aus den sieben Tagen“ (1968) waren darunter, ein Zyklus von schriftlichen Anweisungen von Karlheinz Stockhausen, der damals an „intuitiver Musik“ arbeitete und später ausdrücklich auch „Weltmusik“ komponierte. Stücke von Hans Otte und Peter-Michael Hamel, die jeweils auf ihre Weise mit Berufung auf östliche Traditionen versuchten, die reinen Klänge „frei“ zu lassen („Buch der Klänge“, „Let it play“). In diesem Umfeld gab es damals keine Komponistinnen (oder ich habe trotz erschöpfender Suche keine gefunden). Eine Vorgängerin aber der west-östlichen Synthesen war die in Berlin lebende Österreicherin Grete von Zieritz, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts „Japanische Lieder“ aufnahm, von denen wir einige wirklich komplett neu interpretierten. Der ganz große Wurf (für mich) war die Aufführung des abendfüllenden „Canto Ostinato“ des niederländischen Komponisten Simeon Ten Holt. Der (post-)minimalistische Meilenstein ist eine Mischung zwischen kompositorischer Arbeit und offener Form und die Wiederholung löst erstaunliche emotionale Reaktionen aus.

Alle Stücke im Programm hatten eine eindringliche emotionale Qualität. Und obwohl sie keineswegs leicht zu spielen waren, erschienen sie auf der Bühne zugänglich – sie waren eben nicht für die Elite geschrieben. Und sie wurden auch nicht von der „Elite“ gespielt. Die Beteiligten an „Ein Traum von Weltmusik“ kamen alle von der Folklore und waren in den Augen der E-Musik „Laienmusiker:innen“. Gerade in Deutschland ist es notwendig, auf die Öffnungsprozesse der 1960er und 1970er immer wieder hinzuweisen, und damit zu betonen, dass E-Musik nicht der Spielplatz von bürgerlicher Abgrenzung und erstarrten Ritualen sein darf. Es ist viel von „Inklusion“ und „Partizipation“, die Rede gewesen in den letzten 15 Jahren, aber am Ende darf sich die „Kultur“ der „Laien“ doch nur im Reservat abspielen – die hohe Kunst aber soll den geschulten Händen und Ohren der großen Häuser vorbehalten bleiben. Das wollten wir auflösen, und das haben wir auch geschafft. Und wir wollten Versionen von all diesen Stücken, die nur mit diesen Musiker:innen zustande gekommen wären, eben weil sie in der Lage waren (und sind), die meisten der eingefahrenen Bahnen zu verlassen. Aber keine Klischees ist nicht das, wonach der deutsche Kulturbetrieb sich sehnt. Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich mir das Video vom „Canto“ anschaue, wie damals auf der Bühne im HAU. Es war eine Reise ins offene Gelände, aber darum geht es ja schließlich bei der Kunst.

Canto Ostinato

Aus „Buch der Klänge“ von Hans Otte

„Aufwärts“ aus „Aus den sieben Tagen“ von Karlheinz Stockhausen

„Komm einmal noch“ von Grete von Zieritz

„Sommerduft“ von Grete von Zieritz

Auftritt von Francois Tusques und Isabel Juanpera im Rahmen von „Ein Traum von Weltmusik“

und mein Einführungsvortrag zum Festival „Ein Traum von Weltmusik“