Blackbox Abschiebung

Aus der Erfahrung des Zurückschauens bei „Kanak TV“ entwickelte sich das Projekt „Blackbox Abschiebung“, das maßgeblich von Ralf Jesse gestaltet wurde. Es ging dabei um das Verschwinden derjenigen, die aus Deutschland abgeschoben wurden. Diese Personen hatten in Deutschland gelebt, Erfahrungen gemacht, ein Leben geführt – und ihre Geschichten verschwanden mit ihnen. Zudem bekam die hiesige Öffentlichkeit nichts davon mit, wie ihr Leben eigentlich weiterging im angeblichen Heimatland, denn die Menschen waren ja nun nicht mehr „unser“ Problem. Daher war die Idee, die abgeschobenen Personen mit Aufzeichnungsmedien zu versorgen, Kameras, mit denen sie ihre Sicht als Subjekte dokumentieren konnten. Damals hat uns die Kulturhauptstadt „Ruhr 2010“ (in Person der Leiterin Asle Sevindim) finanziell unterstützt.
Dieses Material nach Deutschland zurückzuspiegeln oder „auszustellen“, war natürlich kein einfaches Unterfangen: Das Problem des Voyeurismus lauerte quasi überall. Es entstand eine Art Installation, die möglichst neutral war, sich selbst möglichst weit zurücknahm, um das Sprechen der abgeschobenen Personen zu ermöglichen. Ob das grundsätzlich gelingen kann, wenn Personen als Subjekte gar nicht persönlich und politisch anwesend sind, sei dahingestellt; die Aporien der Vertretung bleiben. Ebenso falsch aber wäre es gewesen, es nicht zu machen. Die Installation, die „Blackbox“, war einfach aufzustellen und wieder abzubauen, damit sie wandern konnte – auch ohne Ralf Jesse. Ich finde dieses Modell weiterhin sehr relevant, also eine Installation zu gestalten, die alleine wandern kann, also die sich diejenigen, die sie zeigen wollen, selbständig weiterschicken können. „Blackbox Abschiebung“ wurde in mehr als 20 Städten gezeigt.
Zur Dokumentation des Projektes gab es dann keinen Katalog, sondern Miltiadis Oulios machte daraus das dicke Buch „Blackbox Abschiebung“, das in der edition suhrkamp erschien. Kurz nach Erscheinen begann die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015. Dass das Thema nichts an Aktualität eingebüßt hat, hat nicht zuletzt das widerwärtige Cover des „Spiegel“ vom Oktober 2023 gezeigt, auf dem der ernst und entschlossen blickende Kanzler zu sehen war zusammen mit der Headline: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“.