Kanak Attak / Kanak TV

Ende der 1990er Jahre – ich muss sagen, dass ich es nicht mehr exakt weiß – entstand das Netzwerk Kanak Attak: Das erste Treffen war in Frankfurt. Hier kamen Leute zusammen, die einerseits aus der Linken kamen, und enttäuscht über die Unterthematisierung, wenn nicht blanke Abwehr der Diskussion über Rassismus innerhalb der Linken waren. Das hatte sich Anfang der 1990er Jahre gezeigt, als Rassismus im Zusammenhang mit den Anschlägen von Hoyerwerda bis Solingen ein Thema wurde. In einer Diskussion in der Zeitschrift „konkret“ um einen Text von Christoph Türcke hatte sich da erwiesen, dass eine nicht unbeträchtliche Menge der (linken) Beitragenden kein Problem mit dem Begriff „Rasse“ hatte und diesen als neutrale Kategorie verstand. Rassismus galt als sogenannter Nebenwiderspruch im besten Falle; im schlechtesten Falle äußerten sich Linke ohne Migrationshintergrund selbst rassistisch, ohne überhaupt nur darüber nachzudenken. Leute mit Einwanderungsgeschichte hatten häufig genug die Erfahrung gemacht, dass sie in der politischen Tätigkeit als entindiviualisierte Gattungsexemplare betrachtet wurden, deren Meinung vor allem dann gehört wurde, wenn es um „ihre“ Kämpfe ging.
Auf der anderen Seite kamen Leute aus der „Migrantenselbstorganisation“, die ebenfalls unzufrieden waren, dass Rassismus nur eine untergeordnete Rolle spielte. Ende der 1990er Jahre blieben die meisten Vereine oder Verbände von Personen mit Migrationshintergrund sehr stark auf das immer abstrakter werdende „Heimatland“ orientiert (nicht ganz zufällig allerdings, denn die meisten Engagierten waren eben keine deutschen Staatsangehörigen und somit politische Subjekte in einem anderen Land; die meisten Menschen mit Migrationshintergrund oder „People of Color“ waren damals noch rechtlich gesehen „Ausländer“). Die meisten bei KA hatten den berühmten Migrationshintergrund, aber fürs Mitmachen spielte das keine Rolle. Wir haben Kanak Attak immer als politische Gruppe verstanden: Ebensowenig wie die Beteiligten nach der Herkunft gefragt werden wollten, betrachtete auch niemand Herkunft als Auschlußkriterium. Das ist sicher ganz anders als heute, wo Personen in der Öffentlichkeit ständig auf ihre Herkunft hinweisen und viele Zusammenhänge sich rund um ganz spezifische Herkünfte herum organisieren.
Was bei Wikipedia zu Kanak Attak (Attak mit einem K im übrigen) steht, ist im Großen und Ganzen ziemlicher Unsinn (den niemand Zeit und Muße hat zu korrigieren, muss ich dazu sagen). Selbstverständlich handelte es sich um ein reales Netzwerk – eine „Gruppe“ – und nicht um eine „Haltung“. Feridun Zaimoglu war weder Gründungsmitglied noch war er eine Art Spiritus Rektor, wenn auch „Kanak Sprak“ – wie viele, viele andere Quellen – für manche im Netzwerk durchaus eine Rolle spielte. Zaimoglu kam spät dazu und schied bald wieder aus, weil die Gruppe es, gelinde gesagt, egoistisch fand, dass er sich ohne Rücksprache den Namen „Kanak Attack“ (Achtung, mit ck) für die Verfilmung eines seiner Bücher aneignete.
Nicht nur waren wir der Auffassung, dass Rassismus auf die Agenda gehörte, sondern auch, dass die Migration und die konkreten Personen mit Migrationshintergrund in der Geschichtsschreibung, der Öffentlichkeit, den Debatten, der politischen Willensbildung viel zu wenig repräsentiert waren. Zugleich dachten wir, dass die politische Arbeit sich auch auf dem kulturellen Feld abspielen sollte, wir also mit Musik, Theater, Happenings oder Film im Zusammenhang mit politischen Forderungen etwas erreichen konnten. Insofern wurde ein Manifest geschrieben, eine erste Veranstaltung an der Berliner Volksbühne mit dem Titel „Dieser Song gehört uns“ gestartet und eine HipHop-Single mit dem gleichen Namen herausgebracht. Über die Jahre hat es mengenweise Aktionen und Veranstaltungen an verschiedenen Orten gegeben, und angesichts der dezentralen Organisation war es erstaunlich, dass Kanak Attak mehr als 10 Jahre aktiv war.
Zuletzt hatten sich meine Tätigkeiten bei Kanak Attak mehr auf die lokale Ebene verlegt, und in Köln haben wir „Kanak TV“ gegründet. Damals war es erstaunlich, wieviel Wahrnehmung und Autorität ein paar Filmkameras uns verschaffen konnten. Bei der 40jährigen Feier des Anwerbevertrags mit der Türkei haben wir dann nicht nur Flugblätter verteilt, sondern sind dort auch mit unseren Kameras aufgelaufen. „Wir lassen den Blick nicht länger auf uns richten – wir richten den Blick. Kanak TV ist migrantische Selbstermächtigung“, hieß es im Manifest. Bei der Jubiläumsparty haben wir die zahlreichen Politiker:innen und andere Teilnehmende auf Englisch befragt, und die meisten haben sich um Kopf und Kragen geredet. In einem anderen Video („Weißes Ghetto“) haben wir versucht, die klischeehafte Berichterstattung um „Problemviertel“, in denen die „Ausländer“ angeblich unter sich bleiben, am Beispiel des wohlhabenden Stadtteils Lindenthal umzukehren: Hier verorteten wir angesichts der diversen Gesellschaft eine „Parallelgesellschaft“, in der die Deutschen deutscher Herkunft partout mit sich allein bleiben wollten. „Das Märchen von der Integration“ von 2002 wiederum befasste sich mit den absurden Fallstricken der deutschen Vorstellung von Integration, die trotz aller Kritik erstaunlicherweise heute immer noch als Leitidee fungiert.
Zuletzt brachte eine Person kamerunischer Herkunft das Thema Kolonialismus bei „Kanak TV“ auf, das aber auch einigen anderen in der Gruppe auf den Nägeln brannte, und so entstand der Film „Recolonize Cologne“, der die damals noch sehr unbekannte Geschichte des deutschen überseeischen Kolonialismus erzählte. In der Linken war der deutsche Kolonialismus durchaus ein Thema gewesen, aber im öffentlichen Bewusstsein war das Thema sicher nicht präsent. Vor allem wollten wir den Kolonialismus in einen Zusammenhang mit der Migration aus dem kolonialen Raum stellen. Diese Einwanderung hatte bereits eine lange Geschichte, die wir anhand der der Biographien von einzelnen Personen im Film darstellten. Heute würde man sicher einiges anders machen, aber 2005 war das einer der ersten Versuche, dieses Thema aus sozusagen migrationsaktivistischer Perspektive zu bearbeiten.
Kanak Attak – ein wenig Dokumentation
https://www.kanak-attak.de/
Kanak TV – die Videos
„Philharmonie Köln – 40 Jahre Einwanderung“ (2001)
„Weißes Ghetto“ (2002)
„Das Märchen von der Integration“ (2002)
„Recolonize Cologne“ (2005)